Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer Vom Meere strahlt; Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege Der Staub sich hebt; In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege Der Wandrer bebt.
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen Die Welle steigt. Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen, Wenn alles schweigt.
Ich bin bei dir; du seist auch noch so ferne, Du bist mir nah! Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne. O wärst du da!
Goethe
Beautiful-Memories
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Thema: Re: J.W.v.Goethe Di 6 Jan 2009 - 15:19
Grenzen der Menschheit
Wenn der uralte Heilige Vater Mit gelassener Hand Aus rollenden Wolken Segnende Blitze Über die Erde sät, Küß' ich den letzten Saum seines Kleides, Kindliche Schauer Treu in der Brust.
Denn mit Göttern Soll sich nicht messen Irgendein Mensch Hebt er sich aufwärts Und berührt Mit dem Scheitel die Sterne, Nirgends haften dann Die unsichern Sohlen, Und mit ihm spielen Wolken und Winde.
Steht er mit festen, Markigen Knochen Auf der wohlgegründeten, Dauernden Erde; Reicht er nicht auf, Nur mit der Eiche Oder der Rebe Sich zu vergleichen.
Was unterscheidet Götter von Menschen? Daß viele Wellen Vor jenen wandeln, Ein ewiger Strom: Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir versinken.
Ein kleiner Ring Begrenzt unser Leben, Und viele Geschlechter Reihen sich dauernd An ihres Daseins Unendliche Kette.
digame
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Thema: Re: J.W.v.Goethe Di 6 Jan 2009 - 16:37
Gott muß ewig leben.
Der Mensch lebt in seinen Lieben weiter.
Mulan
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Thema: Re: J.W.v.Goethe Mi 7 Jan 2009 - 16:00
Nun verlass' ich die Hütte, meiner Liebsten Aufenthalt, wandle mit verhülltem Schritte durch den öden,finstern Wald. Luna bricht durch Busch und Eichen, Zephir meldet ihren Lauf, und die Birken streun mit Neigen ihr den süssten Weihrauch auf.
Wie ergötz' ich mich im Kühlen dieser schönen Sommernacht! o wie still ist hier zu fühlen, was die Seele glücklich macht! Lässt sich kaum in Wonne fassen und doch wollt' ich,Himmel ,dir Tausend solcher Nächte lassen, gäb' mein Mädchen eine mir.
(J.W.v.Goethe)
Gast Gast
Thema: Re: J.W.v.Goethe Mi 7 Jan 2009 - 16:57
Ich weiß, dass mir nichts angehört Als der Gedanke, der ungestört Aus meiner Seele will fließen, Und jeder günstige Augenblick, Den mich ein liebendes Geschick Von Grund aus lässt genießen.
Gast Gast
Thema: Re: J.W.v.Goethe Mi 28 Jan 2009 - 20:26
Erlkönig
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? - Siehst Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? - Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -
»Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel ich mit dir; Manch bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch gülden Gewand.«
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht? - Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind. -
»Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein.«
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? - Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau. -
»Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.« Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan! -
Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind, Er hält in den Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot.
Johann Wolfgang von Goethe
Gast Gast
Thema: Re: J.W.v.Goethe Fr 6 Feb 2009 - 17:41
Der Fischer
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, Ein Fischer saß daran, Sah nach dem Angel ruhevoll, Kühl bis ans Herz hinan. Und wie er sitzt und wie er lauscht, Teilt sich die Flut empor: Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm: »Was lockst du meine Brut Mit Menschenwitz und Menschenlist Hinauf in Todesglut? Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist So wohlig auf dem Grund, Du stiegst herunter, wie du bist, Und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht, Der Mond sich nicht im Meer? Kehrt wellenatmend ihr Gesicht Nicht doppelt schöner her? Lockt dich der tiefe Himmel nicht. Das feuchtverklärte Blau? Lockt dich dein eigen Angesicht Nicht her in ew’gen Tau?«
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, Netzt’ ihm den nackten Fuß; Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll Wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; Da war’s um ihn geschehn; Halb zog sie ihn, halb sank er hin Und ward nicht mehr gesehn.
digame
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Thema: Re: J.W.v.Goethe Sa 18 Jul 2009 - 10:43
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn weit hinten in der Türkei
Die Mamelucken aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;