Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn - aber abends zum Kino hast dus nicht weit. Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:
Neun Zimmer - nein, doch lieber zehn! Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn, Radio, Zentralheizung, Vakuum, eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm, eine süße Frau voller Rasse und Verve - (und eine fürs Wochenend, zur Reserve) - eine Bibliothek und drumherum Einsamkeit und Hummelgesumm.
Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste, acht Autos, Motorrad - alles lenkste natürlich selber - das wär ja gelacht! Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.
Ja, und das hab ich ganz vergessen: Prima Küche - erstes Essen - alte Weine aus schönem Pokal - und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal. Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion. Und noch ne Million und noch ne Million. Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit. Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.
Ja, das möchste!
Aber, wie das so ist hienieden: manchmal scheints so, als sei es beschieden nur pöapö, das irdische Glück. Immer fehlt dir irgendein Stück. Hast du Geld, dann hast du nicht Käten; hast du die Frau, dann fehln dir Moneten - hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer: bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.
Etwas ist immer. Tröste dich.
Jedes Glück hat einen kleinen Stich. Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten. Daß einer alles hat: das ist selten.
Kurt Tucholsky
digame
Anzahl der Beiträge : 3117 Anmeldedatum : 18.11.08
Thema: Re: Kurt Tucholsky Do 29 Jan 2009 - 13:55
Wie tröstlich!
>hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer<
Aber den kann sie doch anbehalten.
Gast Gast
Thema: Re: Kurt Tucholsky Mo 2 Feb 2009 - 19:00
Der andere Mann
Du lernst ihn in einer Gesellschaft kennen. Er plaudert. Er ist zu dir nett. Er kann dir alle Tenniscracks nennen. Er sieht gut aus. Ohne Fett. Er tanzt ausgezeichnet. Du siehst ihn dir an... Dann tritt zu euch beiden dein Mann.
Und du vergleichst sie in deinem Gemüte. Dein Mann kommt nicht gut dabei weg. Wie er schon dasteht - du liebe Güte! Und hinten am Hals der Speck! Und du denks bei dir so: "eigentlich... Der da wäre ein Mann für mich! "
Ach, gnädige Frau! Hör auf einen wahren Und guten alten Papa! Hättst du den Neuen: in ein, zwei Jahren Ständest du ebenso da! Dann kennst du seine Nuancen beim Kosen; Dann kennst du ihn in Unterhosen; Dann wird er satt in deinem Besitze; Dann kennst du alle seine Witze. Dann siehst du ihn in Freude und Zorn, Von oben und unten, von hinten und vorn... Glaub mir: wenn man uns näher kennt, Gibt sich das mit dem happy end. Wir sind manchmal reizend, auf einer Feier... Und den Rest des Tages ganz wie Herr Meyer. Beurteil uns nie nach den besten Stunden.
Und hast du einen Kerl gefunden, Mit dem man einigermaßen auskommen kann: dann bleib bei dem eigenen Mann!
Gast Gast
Thema: Re: Kurt Tucholsky Do 12 Feb 2009 - 16:45
Berliner Fasching
Nun spuckt sich der Berliner in die Hände Und macht sich an das Werk der Fröhlichkeit. Er schuftet sich von Anfang bis zum Ende Durch diese Faschingszeit.
Da hört man plötzlich von den höchsten Stufen der eleganten Weltgesellschaft längs Der Spree und den kanälen lockend rufen: "Rin in die Escarpins!"
Und diese Laune, diese Grazie, weißte, die hat natürlich alle angesteckt; die Hand, die tagshindurch Satin verschleißte, winkt ganz leschehr nach Sekt.
Die Dame faschingt so auf ihre Weise: Gibt man ihr einmal schon im Jahr Lizenz, dann knutscht sie sich in streng geschlossnem Kreise, fern jeder Konkurrenz.
Und auch der Mittelstand fühlts im Gemüte: Er macht den Bockbierfaßhahn nicht mehr zu, umspannt das Haupt mit einer bunten Tüte und ruft froh: "Juhu!"
Ja, selbst der Weise schätzt nicht nur die hehre Philosophie: auch er bedarf des Weins! Leicht angefüllt geht er bei seine Claire, Berlin radaut, er lächelt... Jeder seins.